Der Rotenfels
Der Rotenfels - Geschichte einer einmaligen Landschaft aus der Sicht des Kletterers - Von Hans Loser (Sektion Nahegau)
Als Goethe während seiner Italienreise, die er gemeinsam mit dem Maler Kniep unternahm, von der Besichtigung Paestums zurückkehrte und über Neapel stand, das sich in seiner ganzen Schönheit entlang dem Golf und dem Meer mit seinen vielen Inseln vor ihm ausstreckte, vernahm er den Jungen, der hinter ihm auf der Kutsche stand, vor Freude aufschreien. Goethe, der sich dadurch belästigt fühlte, tadelte ihn. “Herr, verzeiht mir“, sagte darauf der Junge, „dies ist meine Heimat.“
So fand ein Austausch zwischen dem großen Reisenden und dem Jungen aus Italien statt.
Nach der Besichtigung der Zeugnisse der Vergangenheit, wollte er vielleicht auf eine Gegenwart von ebensoviel Schönheit und Bewegung hinweisen. Er meinte somit, dass es keine Klüfte zwischen dem Einst und der Gegenwart gibt, ebenso wenig zwischen Idealität und Realität und dass alles im Fluss und der Harmonie sei, in jenem Fluss der Wunder, der sich Leben nennt.
Klettern aus heutiger Sicht ist nur schwer zu verstehen, wenn wir die Anfänge nicht kennen. Das geschichtliche Verständnis hilft bei der Auseinandersetzung mit der sich oft widersprechenden Gegenwart; es enthüllt uns unbekannte Aspekte und erklärt die Ursprünge.
Obwohl dem Rotenfels die Tradition anderer deutscher Klettergebiete fehlt – hierbei denke ich u.a. an die Pfalz, den Frankenjura oder auch das Elbsandsteingebirge – so wurden doch auch hier schon Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts erste Besteigungen unternommen.
Mitglieder des DAV Frankfurt und des Schneeschuhklub Frankfurt 1895 schlossen sich zu einer Klettergemeinschaft ohne eigenen Namen zusammen.
In dieser Zeit durchstiegen sie die „Große Rinne“ (Hauptschlucht II-III), den „Goldmann-Kamin“ (III) und die „Kilmer Nadel“ (Spitzer Turm III). Die Besteigung des „Mainzer Turmes“ (Stumpfer Turm II) durch Bergsteiger aus Mainz und des „Saarbrücker Kamins“ (IV) durch Kletterer aus Saarbrücken – angeblich unter Führung von zwei Tiroler Bergführern – erfolgten vor dem ersten Weltkrieg.
Die Kletterer stiegen über einen steilen Grashang zu einem Band, über das sie in den Kamin traversierten, welcher bei dieser Gelegenheit abbrach und beträchtlichen Flurschaden anrichtete. Der Chronist (Otto Hahn, ein Neffe des Nobelpreisträgers) berichtet, dass schon damals zwei oder drei mutige Damen mitkletterten und es einem erotischen Erlebnis glich, wenn man(n) hierbei die Knöchel der Damen zu sehen bekam.
Die Nachkriegsgeneration wiederholte zunächst die klassischen Routen, wobei – etwa 1935 – auf der Kilmer Nadel eine Fahnenstange mit einer schwarz-weiß-roten Fahne installiert wurde, die laut Eintrag im Gipfelbuch am 20.April 1937 von Mitgliedern der Sektion Nahegau durch eine Hakenkreuzfahne ersetzt wurde.
Die zweite Begehung des Saarbrücker Kamins erfolgte auch in dieser Zeit, wobei der Zustieg in Fall-Linie (IV) begangen wurde (Erstbegeher Max Brosius und Otto Hahn, Frankfurt).
1935 erfolgte die Erstbegehung des Glockengrates (III), und bei dieser Gelegenheit wurde in der Mitte des Grates eine Glocke einbetoniert. Diese Glocke ist eine Stiftung von Frau Edith Debuch aus Frankfurt. Die Glocke trägt die Jahreszahlen 1895 (Gründung des Schneeschuhklubs) und 1935 (Datum der Erstbegehung). Heute noch ist der Glockengrat eine der beliebtesten leichten Klettertouren im Rotenfels.
Um in die Hauptschlucht abseilen zu können, wurde auf der Höhe der Querung zum Einstieg des Glockengrates ein massiver Haken einzementiert und nach einer begeisterten Bergsteigerin (Mausi Breidenstein) „Mausi-Haken“ getauft.
Der „Dammel-Weg“ – am später als „Wiesbadener Turm“ bezeichneten Pfeiler – wurde zu Ende des 3. Dezeniums von H. Dammel und Gefährten begangen.
Durch wen und wann der Zustieg aus dem Goldmann-Sattel und der Zwei-Wiesenweg aus der Hauptschlucht auf den Glockengrat gemacht wurde, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.
Helmut Bopp aus Mainz begann nach dem zweiten Weltkrieg mit der Nacherschließung: „Alte Mittelwand“ (IV), „Stumpfer Turm Südwand“ (IV-V) und „Mainzer Riss“ (VI).
Zu Beginn der sechziger Jahre folgten dann die Routen wie „Wiesbadener Weg“ (IV), „Empor-Weg“ (V+) durch Jupp Frisch und Erhard Rosenmaier aus Wiesbaden.
Den Frankfurtern Peter Jäckel und Erich Demont gelang die „Frankfurter Kante“ (V und AO/VI+), Rüdiger Braumann und Ernst Kahr die „Braumann Verschneidung“ (VI-).
Hans Loser eröffnete zwischen 1961 und 1996 mit verschiedenen Gefährten Routen im mittleren und in den oberen Schwierigkeitsgraden der klassischen Alpenskala z.B. „Madonna Südwand“ (IV) „Kreuznacher Weg“ (VI), „Wölfi Weg“ ( V+ AO/VI+), „Via delle Veterano“ (VI-) und „Weg der Jugend“ (V+ AO/VII-). Er tangierte mit der ersten freien Begehung des „Weg der Jugend“ 1972 erstmals den 7. Grad am Rotenfels. Übertroffen wurde diese Schwierigkeit erst 1991 mit der Begehung des „Höllenlochs“ (VII) durch Uwe Sirrenberg und Martin Reis, wobei die Vorbereitung der Erstbegehung und das Bohren der Zwischenhaken durch Sicherung von oben erfolgte.
Dem gleichzusetzen ist die Route „Hand und Fuß“, Erstbegeher: Dirk Dautzenberg, 1996.
Zwischen 1930 und 1964 wurden mehrere Versuche unternommen, die Bastei-Wand zu durchsteigen. Im rechten Wandteil bietet sich der „Große Riss“ an, im zentralen Bereich die Mittelrippe. Max Brosius und Karl Krämer scheiterten im unteren Wandteil ca. 1938.
Zu Beginn der 60er Jahre versuchten sich Johannes Rutz und Herbert Winkler an der „Mittelrippe“ und erreichten etwa 15m über der großen Gufel den höchsten Punkt in der Wandmitte. Hans Loser und Jupp Frisch erreichten im „Großen Riss“ die gleiche Höhe. Wölfi Jordan und Hans Loser starteten im Sommer 1962 einen letzten Versuch an der „Mittelrippe“ und scheiterten, wie ihre Vorgänger, an der extremen Brüchigkeit der oberen Wandpartie.
Alle lohnenden Wege sind mit soliden Bohrhaken abgesichert. Diese Aufgabe übernahmen Hans Thies und Hans Loser gemeinsam mit Helfern und kann als vorläufig abgeschlossen angesehen werden.
Zum Schluss der Versuch einer vollständigen, tabellarischen Auflistung aller am Rotenfels erschlossenen Routen, unterteilt von Ost nach West nach markanten Wandpartien mit Schwierigkeitsgrad, Datum der Erstbegehung und Erstbegeher:
Torre Grande (Wiesbadener)
1. Wiesbadener Schlucht II, ca. 1895, Bergsteiger aus Frankfurt
2. Wiesbadener Weg III-IV, 1961, Jupp Frisch und Erhard Rosenmaier
3. Variante IV, 1961, Hans Loser und Wölfi Jordan
4. Ausstiegs-Variante IV, 1961, Peter Häckel und Gefährten, brüchig, nicht eingerichtet
5. Dammel-Weg IV+, ca. 1938, H. Dammel und Gef., brüchig, nicht eingerichtet
6. Via Brösel V, 1972, Rainer Braun und Walter Wick, brüchig, nicht eingerichtet
7. Feenweg VI, 1990, Uwe Sirrenberg und Martin Reis
8. Höllenloch VII-, 1991, Uwe Sirrenberg und Martin Reis
Ost-Pfeiler
9. Sputnik-Kante IV+, 1957 Sputnik (Spitzname), brüchig, nicht eingerichtet, gesperrt
Stumpfer Turm (Mainzer Turm)
10. Normal-Anstieg II – III-, ca. 1900, Bergsteiger DAV Mainz
11. Südgrat V-, 1958, Helmut Bopp und Paul Rathgeber, brüchig, nicht eingerichtet
12. Wally-Verschneidung IV, 1968, Hans Thies, Wally Bott, Karl Karn
Ost-Massiv
13. Mainzer Wand II+, ca. 1900, Bergsteiger des DAV Mainz, äußerst brüchig, nicht eingerichtet
14. Max-Weg III-IV, 1968, Hans Loser und Max Kleeschulte
15. Via delle Veterano VI-, 1994, Hans Loser und Erich Demont
16. Karl Baer Verschneidung V, 1965, Karl Baer, Ernst Mahner (Spund)
17. Variante Spätlese IV, 1995, Hans Loser und Gef.
18. Darrow-Nitsch Gedächtnisweg V, 1975, Wulf Hanuß, Walter Wick, brüchig, nicht eingerichtet
19. Vogelschiss-Verschneidung IV+, 1959, Hans Loser, Manfred Koffner, brüchig, nicht eingerichtet
Mittelwand
20. Linke Mittelwand IV, ca. 1930, unbekannt
21. Kreuznacher Weg VI- und IV, 1961, Hans Loser und Manfred Koffner
22. Oktober-Weg V-, 1978, Hans Loser, Fred Ludwig
22a. Direkteinstieg zum Oktoberweg VI-, Dirk Dautzenberg, Christoph Nachtigall
23. Hand und Fuß VII-, 1996, Dirk Dautzenberg
24. Wölfi-Weg VI+ IV+, Hans Loser und Max Kleeschulte
25. Direkt Einstieg Empor Weg V+, 1977, Hans Loser und Fred Ludwig
25a. Alte Mittelwand III-IV, ca. 1950,Helmut Bopp und Gef.
26. Empor-Weg V+, 1960, Jupp Frisch und Erhard Rosenmaier
28. Direkte Mittelwand VI+, 1972, Rainer Braun und Walter Wick, brüchig
29. Weg der Jugend V+AO/VII-, 1972, Hans Loser und Erhard Rosenmaier
30. Frankfurter Kante VI+, 1966, Peter Häckel und Erich Demont
31. Pfeiler-Ausstieg, VI, 1970, Hans Loser und Max Kleeschulte, äußerst brüchig, nicht eingerichtet, keine Sicherungen
32. Braumann Weg VI, 1969, Rüdiger Braumann und Ernst Kahr, brüchig
Spitzer Turm (Kilmer Nadel)
33. Normalweg (Westgrat) III, ca. 1905, Hans Kilmer und Gef.
34. Südwest-Wand VI+, 1990, Jörg Brutschner, Rudi Kaul, Holger Parkinus
35. Südwand-Riss IV+, Ca. 1956, Helmut Bopp und Gef., brüchig, nicht eingerichtet
36. Südgrat III+, ca. 1910, unbekannt, sehr brüchig, nicht eingerichtet
37. Schartenweg III+, ca. 1910, sehr brüchig, nicht eingerichtet
38. Nordostwand V+, ca. 1975, Walter Wick und Gef., brüchig, nicht eingerichtet
Rote Wand
39. Jäger-Steig IV+, III, 1912, Jäger und Gef., brüchig, verbuscht, nicht eingerichtet
40. Dreiwiesen-Weg III, ca. 1900, unbekannt, grasig, brüchig, nicht eingerichtet
41. Bruchriss V-, 1967, Hans Loser und Karl Karn, nomen est omen, nicht eingerichtet
42. Ostgrat III+, ca. 1910, unbekannt, brüchig, nicht eingerichtet
Hauptschlucht (Große Rinne)
43. Kanonenrohr I-III, ca. 1890, Bergsteiger aus Frankfurt
Mittelrippe
44. Westwand III+, 1958, Hans Loser, brüchig, nicht eingerichtet
45. Südgrat III, ca. 1910, Bergsteiger aus Frankfurt, nicht eingerichtet
46. Via Italia V-, 1986, Dirk Dautzenberg und Christoph Nachtigall, brüchig, nicht eingerichtet
Madonna
47. Südwand IV, 1961, Hans Loser und Reinhold Koulen
48. Normal-Anstieg III, ca. 1925, Bergsteiger aus Frankfurt
Große Schulter
49. Roter Riss V, 1969, Jupp Frisch und Gef., äußerst brüchig, nicht eingerichtet
50. Wacholder Weg III-IV, 1963, Hans Loser und Karl Burghold
51. Variante-Verschneidung IV, 1975, Klaus Schuster und Gef., nicht eingerichtet
52. Grappa Kante V+ III, Hans Loser, solo, brüchig, nicht eingerichtet
53. Rechte Wand III-IV, 1986, Dirk Dautzenberg und Christoph Nachtigall, nicht eingerichtet
Glockengrat
54. Sattelausstieg zur Glocke III, ca. 1937, Bergsteiger DAV Frankfurt, brüchig, nicht eingerichtet
55. Glockengrat III, 1935, Max Brosius, Otto Hahn, Edith Debuch
56. Direkteinstieg IV, 1956, Edi Reinhard und Gef., brüchig, nicht eingerichtet
57. Zweiwiesen-Weg III, ca. 1955, Karl Krämer, brüchig, nicht eingerichtet
Goldmann Rinne
58. Goldmann-Kamin II —IV, ca. 1925, H.Goldmann und Gef.
Massiv der Bastei (alle Routen ganzjährig gesperrt)
59. Saarbrücker Kamin IV, ca. 1910, Bergsteiger aus Saarbrücken mit zwei Tiroler Bergführern, brüchig, nicht eingerichtet
60. Direkteinstieg IV+, 1930, Max Brosius und Otto Hahn, brüchig, nicht eingerichtet
61. Mainzer Riss, VI, 1957, Helmut Bopp und Gef., brüchig, nicht eingerichtet
62. Mittelrippe VI AO, ca. 110 m geklettert, s. Text
63. Großer Riss VI, ca. 110 m geklettert, s. Text
64. Geschweifter Riss V+, 1957, Helmut Bopp und Gef., brüchig, nicht eingerichtet
Götzenfels
65. Große Verschneidung (Bahnwärter Thiele) IV+, 1963, Klaus Olesch, Hans Thies, brüchig, nicht eingerichtet